Ein Jahr ChatGPT-Hype: 3 Lessons für die tägliche Markenarbeit

Prof. Dr. Carsten Baumgarth

Seit dem 30.11.2022 erobert ChatGPT-3 die Welt der Markenmacher im Sturm. Zwar wurde ChatGPT schon 2018 eingeführt und auch die Version ChatGPT-3 stand schon im Sommer 2020 zur Verfügung, aber erst die kostenlose Version mit einer für Alle einfach zu nutzenden Oberfläche (Usability ist bei der Akzeptanz technologscher Innovationen immer ein zentraler Faktor) führte zu dem Hype. Schon im Januar 2023 nutzten mehr als 100 Millionen User das KI-Tool. Nach dem ersten Hype und dem eigenen Ausprobieren für Weihnachtsmails, Liebesbriefe und Blogtexte gibt es mittlerweile auch empirische Belege für das Potential von KI für die Markenarbeit. Bspw. hat ein Team von Harvard-Forschern zusammen mit der Strategieberatung BCG ein Experiment durchgeführt. In dieser Studie setzten über 700 BCG-Berater für 18 typische Aufgabenstellungen der praktischen Markenarbeit (z. B. Segmentauswahl, Verfassen eines Presseberichts, Fragen für Fokusgruppen, Markennamenentwicklung) entweder keine oder eine auf ChatGPT-4 basierende KI-Lösung (mit oder ohne Schulung) ein. Die Ergebnisse waren eindeutig: Die KI-Gruppen erledigten mehr Aufgaben (Effizienzgewinn: + 12 %) und lösten diese besser (Qualitätsgewinn: + 40 %). Besonders stark profitierten von der KI dabei die eher nicht so leistungsfähigen BCG-Berater (aber auch die sog. High-Performer steigerten durch KI ihre Effizienz und Effektivität) und eine vorherige Schulung der Berater verbesserte noch einmal die Ergebnisse. Diese und weitere Studien sowie ggf. auch eigene Erfahrungen belegen das Potential von KI für die tagtägliche Markenarbeit. Aber das eine Jahr mit ChatGPT hat uns auch gelehrt, dass der Einsatz von KI nicht trivial ist. Es lassen sich insbesondere drei Fallstricke und daraus abgeleitet drei Empfehlungen identifizieren.

 

(1)        ChatGPT-Blindheit: Mehr als ChatGPT in die Markenarbeit integrieren!
Der vor einem Jahr gestartete Hype um ChatGPT führte dazu, dass (fast) jeder Markenmacher dieses Tool ausprobierte und heute auch kaum eine Marken- und Marketingkonferenz ohne das Thema KI auskommt. Aber die Markenpraxis zeigt, dass die Markenmacher sich überwiegend auf dieses eine Tool (evtl. noch Mindjourney für Bilder) fokussieren und damit das Potential von KI für die verschiedenen Aufgabenfelder der Markenarbeit verschenken. Daher sollten Markenmacher ihren Horizont erweitern und für diverse Aufgaben verschiedene Tools - auch jenseits der Text- und Bildgenerierung - ausprobieren und nutzen. Das Aufgabenspektrum, welches durch KI unterstützt werden kann, reicht von strategischer Insight-Findung über die Branding- und Contentgenerierung hin zum Testen und zur Implementierung. Ganz im Sinne eines eher agilen Denkens ermöglicht KI insbesondere eine Entwicklung von Branding und Assets in Loops und in Echtzeit (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Ausgewählte KI-Tools für zentrale Aufgabenfelder der Markenarbeit

 

(2)            KI-Fehler: Mensch muss Chef bleiben!
KI ist wie wir Menschen nicht fehlerfrei. Bspw. erfindet eine generative KI häufig „neue“ Informationen (sog. KI-Halluzination), die auch zu gefährlichen Fake News führen können. Weiterhin lernt eine KI aus großen und „alten“ Datensätzen, wodurch sich bestimmte Muster in den Lösungen verstärkt zeigen. Dieser sog. KI-Bias kann dazu führen, dass die Inhalte nicht nur austauschbar werden, sondern auch Content erstellt wird, welcher der „Political Correctness“ widerspricht und dadurch die Marke schädigen kann. Beispielsweise wurde in einer Studie mit der Text-zu-Bild-Lösung Stable Diffusion für 14 verschiedene Berufe jeweils 300 Bilder generiert und anschließend in Bezug auf Hautfarbe und Geschlecht ausgewertet. Wie Abbildung 2 exemplarisch zeigt, wiederholt und verstärkt die KI-Lösung mit generierten Bildern von männlichen CEOs und weiblichen Lehrerinnen vorhandene Stereotype. Ein weiteres Problem der existierenden KI-Lösungen ist, dass es relativ schwierig ist, eine hohe Konsistenz über die verschiedenen Markenkontaktpunkte und über die Zeit zu generieren. Daher ist es notwendig, dass der Markenverantwortliche KI nicht als ein isoliertes und eigenständig arbeitendes Tool einsetzt, sondern als Partner, wobei der Mensch den Output am Ende immer kontrollieren und freigeben sollte. Der Mensch muss KI als Teammitglied akzeptieren und dabei eine Chefrolle einnehmen.

Abb. 2: KI-Bias am Beispiel von Berufen und Geschlechterstereotypen (basiert auf Nicoletti/Bass 2023).

 

(3)            Halbwertszeit des KI-Wissens ist gering: Ausruhen können Sie später!
Die Welt der KI-Tools bleibt nicht stehen, sondern dreht sich immer schneller. Bspw. wurde im März 2023 nicht nur ChatGPT-4.0 eingeführt, sondern seit September 2023 ist auch die Generierung und das Hochladen von Bildern möglich sowie die Interaktion mit dem Tool durch gesprochene Sprache. Neben der rasanten Weiterentwicklung der einzelnen Tools und immer neuer Tools (z. B. Adobe Firefly beta) lässt sich auch erkennen, dass es stärker zu integrierten Lösungen kommt, die vorher unabhängige KI-Tools unter einem Dach bündeln. Zu nennen sind z. B. die deutsche Lösung neuroflash (u. a. Text- und Bildgenerierung, Evaluation von Texten oder die US-amerikanische Lösung designs.ai (u. a. Generierung von Namen, Logo, Video, Social Media). Zusätzlich werden sich in den nächsten Monaten auch die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen (z. B. Copyrights, Kennzeichnungspflicht) ändern, die bei dem Einsatz von KI in der Markenarbeit zu berücksichtigen sind. Dies führt zu einer sehr geringen Halbwertszeit des KI-Anwenderwissens, weshalb es notwendig sein wird, sich kontinuierlich mit diesen Lösungen und den neuesten Entwicklungen aktiv auseinanderzusetzen. Dies bedeutet für die Markenarbeit, dass lebenslanges Lernen zum KI-Thema keine Kür, sondern als Pflicht-Bestandteil der regulären Arbeitszeit mit entsprechenden Zeitbudgets einzuplanen ist.

Zusammenfassend hat die „Geburt“ von ChatGPT am 30.11.2022 stark dazu beigetragen, dass sich Markenverantwortliche intensiver mit dem Thema KI beschäftigen (müssen). Allerdings ist es noch lange nicht so, dass KI die Markenarbeit in der Praxis stark beeinflusst. Bislang dienen die KI-Lösungen, insbesondere die generativen KI-Tools, als Brainstorm-Partner in frühen Konzeptentwicklungen, als „Marketing-Gag“ und als jüngstes Mitglied des Marketing-Bullshit-Vokabulars. Seriöse Forschung und Anwendungen verdeutlichen aber schon heute das hohe Potential für die Markenarbeit, welches dazu führen wird, dass Markenverantwortliche mit einem KI-Assistenten Mitarbeiter ohne diese Unterstützung substituieren werden. Aber dies ist keine einfache Transformation, sondern jeder Markenverantwortliche sollte KI breiter als ChatGPT interpretieren, das Rollenverhältnis von Mensch und KI explizit hierarchisch definieren und kontinuierlich bereit sind, sich mit dem Thema intensiv zu beschäftigen und neu zu lernen.

 

Links für Nerd und Weiterdenker

Dell'Acqua, F.; McFowland, E.; Mollick, E. R.; Lifshitz-Assaf, H.; Kellogg, K.; Rajendran, S.; Krayer, L.; Candelon, F. Lakhani, K. R. (2023): Navigating the Jagged Technological Frontier: Field Experimental Evidence of the Effects of AI on Knowledge Worker Productivity and Quality. Harvard Business School Technology & Operations Management Unit, Working Paper No. 24-013.

Nicoletti, L.; Bass, D. (2023): Humans are biased. Generative AI is even worse, https://www.bloomberg.com/graphics/2023-generative-ai-bias/ (letzter Abruf 1.11.2023).

The London Interdisciplinary School (Hrsg.) (2023): How AI Image Generates Make Bias Worse, https://www.google.com/search?q=Nicoletti+Bass+Human+are+biased&oq=Nicoletti+Bass+Human+are+biased&gs_lcrp=EgZjaHJvbWUyBggAEEUYOTIHCAEQIRigAdIBCDk5NTNqMGo3qAIAsAIA&sourceid=chrome&ie=UTF-8#vhid=3VJYVH7kH1bltM&vssid=videos-5f285474&ip=1 (letzter Abruf: 1.11.2023).

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